Prävention

Zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen

Der DBJR hat im Rahmen der Verbändeanhörung des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen eine Stellungnahme abgegeben.

Als Deutscher Bundesjugendring (DBJR) nehmen wir zum vorliegenden Referent*innen-Entwurf sowohl aus Sicht junger Menschen als auch aus Sicht der Kinder- und Jugendarbeit – insbesondere der Jugendverbandsarbeit – nur zu ausgewählten Punkten Stellung. Bei unkommentierten Punkten des Entwurfs kann nicht automatisch von einer Zustimmung ausgegangen werden.

Als Interessenvertretung von mehr als sechs Millionen jungen Menschen in Deutschland begrüßen wir den lang erwarteten Entwurf in seiner Zielstellung und Grundausrichtung sowie die damit angestrebte Stärkung des Rechtes auf Schutz vor sexueller Gewalt und Ausbeutung ausdrücklich. Die Stärkung von individueller, struktureller und gesellschaftlicher Aufarbeitung, der Qualitätssicherung im Kinderschutz und der Unterstützung Betroffener ist auch für die Jugendverbände und –ringe ein wesentliches Ziel.

Allerdings hätten wir uns insgesamt deutlichere Impulse gewünscht, die Notwendigkeit des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung sowie das Recht aller junger Menschen darauf noch stärker in die gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit zu rücken. Auch fehlen uns bei den Angeboten, die v.a. mit dem Gemeinsam-gegen-Kindesmissbrauch-Gesetz – UBSKMG geschaffen oder verstetigt werden, ausreichende ergänzende direkte oder indirekte Unterstützungs- und Beratungsmöglichkeiten für die oft ehrenamtlich getragen Strukturen, wie sie z.B. die Kinder- und Jugendarbeit und v.a. die Jugendverbandsarbeit prägen. Darüber hinaus ergeben sich aus dem Entwurf und seiner Begründung auch offene Fragen, so dass unsere Bewertungen an vielen Stellen noch nicht abschließend sind.

Hier hoffen wir auf Stärkung des Entwurfs in den nun folgenden Beteiligungsverfahren und im Fachdiskurs. Als DBJR stehen wir dafür jederzeit gerne zur Verfügung.

zu Artikel 1: Gesetz zur Einrichtung einer oder eines Unabhängigen Bundesbeauftragten gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (Gemeinsam-gegen-Kindesmissbrauch-Gesetz – UBSKMG)

Wir begrüßen den Artikel bzw. den Gesetzentwurf in seiner Zielstellung und Grundausrichtung ausdrücklich. In der gesetzlichen Verankerung, Absicherung, Klarstellung und damit Aufwertung der Position der*des UBSKM sieht der DBJR einen wichtigen Schritt, auch wenn er nicht die Stärke hat, die aus unserer Sicht notwendig wäre.

Der DBJR begrüßt und teilt die in §1 (1) RefE formulierten Zielstellung, kann aber konkrete bzw. praktische Rechtsfolgen nicht erkennen, da sich die benannten Lebensbereiche auf viele Rechtskreise und (föderale) Zuständigkeiten verteilen. Auch sind uns die Definitionen der hier verwenden Begrifflichkeiten teilweise unklar.

Die Bedeutung und Folge der in §1 (2) RefE vorgenommen Aufzählung dessen, was präventive Maßnahmen laut dem vorliegenden Referent*innen-Entwurf. insbesondere umfassen sollen, erschließt sich nicht. Hier stellt sich die Frage, inwieweit es Aufgabe des Gesetzgebers ist, diese fachlichen (und damit sich ständig weiterentwickelnden) Fragen zu klären.

Dem DBJR ist noch nicht ersichtlich, warum die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) mit den genannten Aufgaben betraut wird und welche Rolle sie dabei übernehmen soll. Bisher war die BZgA innerhalb der Handlungsfelder Kinder- und Jugendarbeit sowie Jugendverbandsarbeit kaum sichtbar in diesen Themen aktiv.

Aus den praktischen Erfahrungen, der fachlichen Expertise und der Rolle als bundesweiter Akteur im zivilgesellschaftlichen Handlungsfeld der Jugend(verbands)arbeit heraus möchten wir in diesem Zusammenhang Bedarfe benennen, die mit dem vorliegenden Entwurf nicht gedeckt werden. Sie bleiben im Referentenentwurf teilweise unerwähnt; jedoch sind sie für uns von entscheidender Bedeutung.

  • Die in §2 ff RefE benannten unterschiedlichen Aufgaben sollten aus Sicht des DBJR weiterhin v.a. dezentral - beispielsweise in den Trägerstrukturen, den Fachberatungsstellen und vor allem den Jugendämtern - wahrgenommen werden. Diese haben bereits bestehende Kontakte zu den jeweiligen Akteuren vor Ort und damit Kenntnis von den regionalen Gegebenheiten bzw. im Handlungsfeld und damit eben auch spezifische Kenntnis im Handlungsfeld. Dies sind die Orte, an denen sich die Träger und Strukturen Beratung und Unterstützung holen.

  • Letztendlich muss und kann jedoch nur jeder Träger bzw. Einrichtung selbst seine bzw. ihre Strukturen angemessen analysieren und Risiken im eigenen Schutzprozess minimieren, da das Wissen über die internen Abläufe und Besonderheiten ausschließlich beim Träger liegt. Dafür brauchen aber vor allem die ehrenamtlichen Strukturen vor Ort, insbesondere in ländlichen Gebieten, die notwendigen Unterstützungsangebote.

  • Bundesweite Strukturen erweisen sich insbesondere dann als sinnvoll, wenn es darum geht, Qualitätsstandards gemeinsam zu setzen und weiterzuentwickeln sowie um zu vernetzen und zu unterstützen, wenn spezifische oder regionale Angebote akut nicht zur Verfügung stehen. Es fehlt an vielen Stellen - kommunal wie bundesweit - an entsprechenden Beratungsstellen. Durch unklare Zuständigkeiten kann der Beratungsbedarf nicht abgedeckt werden. Für die Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit und v.a. der Jugendverbandsarbeit wäre hier eine Hotline, die im akuten Bedarfsfall eine schnelle Beratung vermittelt; ebenso notwendig, wie eine Beratungsstelle für die Fachstellen und bundesweiten Träger.

In der in §2 (2) RefE benannte Zurverfügungstellung von Materialien für Einzelpersonen (Fachkräfte und Eltern) sieht der DBJR nur einen begrenzten effektiven Beitrag zur Aufklärung, Sensibilisierung und Qualifizierung. Insofern Materialien als geeignetes Instrument identifiziert werden, ist die Begrenzung auf Fachkräfte und Eltern nicht nachvollziehbar. Gerade aus Sicht von i.d.R. ehrenamtlichen Strukturen junger Menschen sind Ehrenamtliche sowie Kinder- und Jugendliche eine ebenso wichtige Zielgruppe. Dabei ist zu bedenken, dass Materialien und Informationen in diesem Bereich bereits in großer Vielfalt existieren und Lösungen auch auf spezifische Trägerstrukturen eingehen müssen, um effektiv zu sein.

Der Hintergrund der ebenda benannten Sicherung von „Transfer von Maßnahmen in frühkindliche, schulische, berufsbildende und außerschulische Einrichtungen, Beratungsstellen und Institutionen des Gesundheitswesens sowie der Jugend- und Bildungsarbeit“ erschließt sich aus dem Gesetzestext nicht. Die entsprechende Begründung müsste konkreter ausgeführt werden, um das Regelungsvorhaben bewerten zu können.

Die in §3 RefE - Unterstützung für Betroffene von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend - benannten Vorhaben begrüßt der DBJR ausdrücklich.

 

Die oder der Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (§4 und folgende)

Auch wenn die gesetzliche Verankerung des Amtes der*des UBSKM sowie des Betroffenenrats und der Unabhängige Aufarbeitungskommission sowohl praktisch als auch in Hinblick auf Bedeutung und Anerkennung der Arbeit eine wichtige Stärkung ist, wird im Wesentlichen nur der Status Quo gesetzlich festgeschrieben.

Der DBJR begrüßt die gesetzliche Klarstellung, „sie oder er ist bei der Ausübung ihres oder seines Amtes unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen“.

Die geplante Festlegung, alle Haushaltsausgaben im Einzelplan 17 zu kompensieren, kann dazu führen, dass die Finanzierung dieser wichtigen Aufgaben zu Lasten oder in Konkurrenz zu anderen Ausgaben und Aufgaben im Bereich Prävention bzw. insgesamt im gesamten Zuständigkeitsbereich des BMFSFJ geht.

 

Berichtspflicht (§ 7)

Als wichtigsten Punkt und größte Stärkung begrüßen wir die gesetzliche Verankerung der Berichtspflicht gegenüber dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung.

Der DBJR begrüßt ebenfalls, dass die Empfehlung des Nationalen Rates aufgenommen wurde und somit empirische Daten als eine Grundlage für den Bericht festgeschrieben werden. Eine finale Beurteilung der Planung für die in dem Zusammenhang geplante Einrichtung eines Zentrums für Forschung zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen kann erst erfolgen, wenn mehr dazu bekannt ist, z.B. die Frage der Ansiedlung. Die Schaffung neuer Einrichtungen birgt aus Sicht des DBJR immer die Gefahr von Parallelarbeit und verstärkter Notwendigkeit sowie zusätzlichem Aufwand für Koordination und Vernetzung. Wir regen an, als eine Option zu prüfen, ob das Deutsche Jugendinstitut (DJI) diese Rolle übernehmen kann, da es über eine hohe fachliche Expertise verfügt und in der Fachwelt anerkannt und vernetzt ist.

Der DBJR regt darüber hinaus an, die Benennung der (besonders) vulnerablen Gruppen in der entsprechenden Begründung zu überprüfen. Die Auswahl ist nur begrenzt nachvollziehbar und eine systematische Benennung und Begründung wäre hilfreich. Aus Sicht des DBJR fehlen insbesondere junge Menschen in sozial und finanziell prekären Situationen oder/und in Abhängigkeitsverhältnissen sowie junge Menschen in Unterbringung und Sammelunterkünften.

 

zu Artikel 2:

Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch

Der DBJR begrüßt die durch den neuen §9a SGB VIII geplante Einführung des Rechtes auf Akteneinsicht zur Aufarbeitung.

Im Sinne der Rechtsklarheit muss dabei sichergestellt werden, dass die Aufzählung der Akten in Absatz 1 abschließend und eindeutig ist. Dies gilt analog auch für Absatz 2.

Die Ergänzung des §74 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB VIII um „und grundsätzlich zur Mitwirkung an Maßnahmen nach §79a Absatz 2 bereit ist“ ist aus Sicht des DBJR folgerichtig und wird begrüßt. Im weiteren Verfahren sollte jedoch eine Klarstellung der Formulierung „grundsätzliche Bereitschaft zur Mitwirkung an entsprechenden“ erfolgen. Mit Blick v.a. auf die Förderung mit Bezug auf die §§ 11 und 12 SGB VIII und die in dem Rahmen geförderten Träger (oft ehrenamtliche Strukturen) und Summen, muss die Leistbarkeit und Angemessenheit gewahrt werden.

Die in Nr. 8 geplante Erweiterung des §79a Absatz 1 SGB VIII mit dem Ziel, die Beschränkung der Vorgaben zur Qualitätsentwicklung im Bereich „Gewaltschutz“ auf Kinder und Jugendliche in Einrichtungen und Familienpflege aufzuheben und damit für alle Handlungsfelder verpflichtend zu machen, begrüßt der DBJR und teilt die genannte Begründung.

Der DBJR sieht jedoch noch viele Fragen und Unklarheiten in den konkreten Formulierungen und ihrer praktischen Umsetzung. Es ist entscheidend, dass bei der Umsetzung sichergestellt wird, dass die mit den Trägern vereinbarten Maßnahmen angemessen sind und die Vielfalt der Trägerstrukturen und Angebote berücksichtigt wird. Dabei müssen insbesondere die spezifischen Bedürfnisse ehrenamtlich geführter Strukturen vor Ort beachtet werden.

Richtigerweise fehlt im Gesetz auch eine Definition von „Konzepten zum Schutz vor (sexueller) Gewalt“, denn dies sollte nicht gesetzlich geregelt sein. Wünschenswert ist aber die Benennung eines Verfahrens, wie eine solche möglichst bundesländerübergreifend herbeigeführt werden kann. Der Verweis auf die Überörtlichen Träger i.S. §85 SGB VIII geht in die richtige Richtung.

 

Weitere Anregung:

Als Anregung zu diesem Gesetz schlagen wir vor, eine gesetzliche Evaluation z.B. nach fünf Jahren oder besser noch regelmäßig zu verankern. Diese Evaluation sollte dazu dienen, die Wirksamkeit des Gesetzes sowie die Umsetzung seiner Maßnahmen zu überprüfen. Dabei könnten Aspekte wie Zugänglichkeit, Qualitätssicherung und Ressourcenverfügbarkeit untersucht werden. Eine regelmäßige Evaluierung könnte sicherstellen, dass das Gesetz den Bedürfnissen der Betroffenen gerecht wird und kontinuierlich verbessert wird, falls erforderlich.

1 Bearbeitungsstand: 12.04.2024 14:23

Themen: Prävention