Prävention

Prävention braucht Struktur

Die 89. DBJR-Vollversammlung hat am 28./29. Oktober 2016 in Berlin folgende Position „Prävention braucht Struktur. Überlegungen und Forderungen zur Prävention sexualisierter Gewalt in den Jugendorganisationen“ beschlossen:

Das Engagement im Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt ist ein unverzichtbares Element unseres Selbstverständnisses als Jugendverbände und -ringe. Wir ergreifen Partei für die Interessen sowie das Wohl von Kindern und Jugendlichen. Wir begreifen alle sie betreffenden Themen als wesentlichen Bestandteil unserer täglichen Arbeit.

Auch die Auseinandersetzung mit dem Problem der Kindeswohlgefährdung in unserer Gesellschaft gehört dazu. Gefährdungen durch sexuelle Übergriffe, die Kindern und Jugendlichen auch in der Kinder- und Jugendarbeit beziehungsweise in ihren Strukturen widerfahren können, sind dabei für Jugendverbände und -ringe unmittelbar handlungsrelevant. Bereits seit vielen Jahren setzen sich die Jugendverbände und -ringe aus diesen Gründen mit dem Thema Prävention sexualisierter Gewalt auseinander, sie haben dazu in den letzten Jahren vielfältige Strukturen, Konzepte und Materialien entwickelt und umgesetzt.

Engagement der Jugend(verbands)arbeit für die Interessen und Rechte von Kindern und Jugendlichen

In unseren Maßnahmen und Angeboten stärken wir junge Menschen, damit sie ihre eigenen Interessen, aber auch Grenzen erkennen und klar benennen können. Dieses Selbstverständnis, Kinder und Jugendliche bei ihrer Entwicklung zu eigenständigen Persönlichkeiten zu begleiten, ist in unseren jugendverbandlichen Prinzipien der Selbstorganisation, der Partizipation und der Demokratie zugrunde gelegt. Sie ist dadurch originärer Bestandteil unserer Arbeit, der präventive Wirkungen entfaltet.

Für uns als Selbstorganisationen junger Menschen ist die (jugend-)politische Interessenvertretung zur allgemeinen Stärkung des Themas Prävention sexualisierter Gewalt durch entsprechende gesellschaftliche Veränderungen ein weiterer wichtiger Aspekt. Dabei geht es auch darum, weiter zu denken und deutlich zu machen: Eine Gesellschaft, der Prävention sexualisierter Gewalt wichtig ist, kann gesellschaftlich geduldeten Sexismus und befördernde patriarchale Machtstrukturen nicht mehr akzeptieren, sie muss Veränderungen anstreben.

Ein umfassender Ansatz präventiver Arbeit gegen sexualisierte Gewalt bedeutet daher für uns Jugendverbände und -ringe auch, sexistische Strukturen in der Gesellschaft – somit auch in unseren eigenen Strukturen – aufzudecken und stetig dagegen anzugehen. Aus diesem Grund sind die Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt für uns nicht nur ein pädagogisches, sondern auch ein politisches Ziel.

Prävention in Organisationen der Jugendarbeit

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen in unseren Angeboten und Strukturen ist ein Anliegen, das die Jugendverbände und -ringe in den vergangenen Jahrzehnten intensiv beschäftigt hat. Viele haben sich der Problematik gestellt, passgenaue Präventionsmaßnahmen entwickelt und eingeführt.

Ein wirksamer Schutz vor sexualisierter Gewalt in unseren Strukturen kann durch solche Präventionsmaßnahmen allerdings nur dann erreicht werden, wenn ihnen eine Gesamtstrategie zugrunde liegt, welche die spezifischen Strukturen und Prinzipien der Jugendarbeit einbezieht sowie auf allen Ebenen von Jugendverbänden und –ringen wirksam wird. Aus unserer Sicht sind einzelne bürokratische Instrumente wie die Vorlagepflicht von Erweiterten Führungszeugnissen für Ehrenamtliche als Beitrag zur Prävention unzureichend, weil sie lediglich vor einer bestimmten Gefahrenquelle schützen (nämlich vor Taten bereits einschlägig verurteilter Personen), hierfür jedoch überproportional viele Ressourcen binden. Die ehrenamtliche Struktur der Kinder- und Jugendverbände basiert auf einer vertrauensvollen Zusammenarbeit. Das ist eine ausdrückliche Stärke und Besonderheit, die es zu bewahren gilt, die aber auch für spezifische Gefahren anfällig ist. Hier sehen sich die Jugendverbände in der Pflicht, auch auf der strukturellen Ebene zu reagieren.

Konsequenzen

In der bisherigen fachlichen Auseinandersetzung innerhalb der Mitgliedsorganisationen des Deutschen Bundesjugendrings (DBJR) wurde deutlich, dass es eine Fülle von Themen und Inhalten gibt, über die ein weiterer Austausch im DBJR angestoßen werden muss. Konkret sind dies zum Beispiel gemeinsame Qualitätskriterien und/oder Mindeststandards der Prävention, Fallbegleitung von Organisationen in der Aufarbeitung, Weiterqualifizierung von entsprechenden Referent_innen, Multiplikator_innen, Verantwortlichen und Vertrauenspersonen, Einbeziehung von Fragen der Medienpädagogik, Auseinandersetzung mit Erwachsenenverbandsstrukturen, Zusammenarbeit mit Beratungsstellen und fachliches Reagieren auf aktuelle Entwicklungen.

Aktive Präventionsarbeit gegen sexualisierte Gewalt kann nicht nebenbei gemacht werden. Um den Anforderungen aus der Politik, vor allem aber den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, müssen entsprechende Ressourcen für die Jugendringe und Jugendverbände sowie den DBJR als deren Arbeitsgemeinschaft zur Verfügung gestellt werden.

Für die Implementierung von präventiven Strukturen und um eine dauerhafte fachliche Auseinandersetzung in den Organisationen der Jugendarbeit zu gewährleisten, sind gute Fachkräfte Voraussetzung. Diese müssen über umfassende Kenntnisse zur Prävention sexualisierter Gewalt in Organisationen der Jugendarbeit verfügen. Entsprechende Qualifizierungsangebote bauen auf den Erfahrungen des gemeinsamen Modellprojekts „Prätect – Keine Täter in den eigenen Reihen!“ von DBJR und Bayerischen Jugendring (BJR) auf, sie unterstützen die Umsetzung in der Praxis.

Neben der fachlichen Qualifizierung sind aber auch genügend zeitliche beziehungsweise personelle Ressourcen nötig, ebenso eine kontinuierliche Reflexion. Mithilfe zusätzlicher Mittel auf Bundesebene, könnten verbandsspezifische und -übergreifende Beratungs- und Qualifizierungsstellen eingerichtet werden.

Der DBJR und seine Mitgliedsorganisationen fordern deshalb eine verlässliche zweckgebundene Bereitstellung zusätzlicher staatlicher Fördermittel, die es Jugendverbänden ermöglichen, umfassende Schutzkonzepte nachhaltig in den Strukturen der Jugendverbandsarbeit zu etablieren. Dazu gehören sowohl personelle Ressourcen für die Umsetzung in den Verbänden als insbesondere auch eine Fachberatung auf Bundesebene, die mehrere Aufgaben erfüllt:

  • Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes Strukturelle Prävention in Jugendverbänden und
  • ringen,
  • Koordination, Kommunikation und Vernetzung, zum Beispiel Zusammentragen, Sortieren und Aufbereiten, gegebenenfalls fachliches Weiterentwickeln von bereits vorhandenen und erprobten Materialien sowie weiteren Schutzelementen, Vernetzung von Akteur_innen, Durchführen von regelmäßigen Informationstreffen etc.,
  • Etablierung und Konzeptionierung von Schulungs und Qualifizierungsmaßnahmen für Leitungs- und Fachkräfte aus den Jugendverbänden und -ringen,
  • Aufbau und Pflege eines Coachingsystems, das Begleitung und Unterstützung von Jugendorganisationen bei den notwendigen Entwicklungs und Veränderungsprozessen durch spezielle Fachleute (die gegebenenfalls erst ausgebildet werden müssen) ermöglicht,
  • Ansprechstelle für die organisierte jugendverbandliche Präventionsarbeit auf der Landesebene und
  • Ansprechstelle nach außen auf Bundesebene zum Beispiel für Ministerien, den Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) etc.

Bei der Konzepterstellung zum Antragsvorhaben, insbesondere zum Coachingsystem, werden entsprechende Erfahrungen sowie Fachleute aus der Jugend(verbands)arbeit einbezogen.

Einstimmig beschlossen auf der 89. Vollversammlung am 28./29. Oktober 2016 in Berlin.

Themen: Prävention